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Kritische Betrachtung der Leitsätze Le Corbusiers

- anhand eines Auszuges aus seiner Schrift „Vers une architecture“, Paris 1923

 

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links : Le Corbusier, Stilleben, 1924, Öl. In dem Bild zeigt sich die Transparenz und die Vorliebe für einfache Formen.

rechts: Le Corbusier, Eisenbetonskelett eines Wohnhauses, 1915. Hier verwandelt er das vom Ingenieur entwickelte Betonskelett in ein architektonisches Ausdrucksmittel.

 

I

Entsprechend den seit Vitruv geläufigen Einteilungen innerhalb der Architektur definiert Le Corbusier in seinen Leitsätzen in der Schrift „Vers une architecture“ die grundlegenden Elemente Konstruktion, Funktion und Form, die voneinander abhängig sind, bzw. aufeinander aufbauen.

In seinem Text repräsentiert der Ingenieur mit seiner wissenschaftlichen Arbeit die Konstruktion. Anfang des 20. Jahrhunderts erreichten die Ingenieursleistungen durch die Industrielle Revolution ein nie zuvor gekanntes Ausmaß. Der Ingenieursbau basiert auf den Naturgesetzen und erschafft dadurch klare und einfache Strukturen. Der Konstruktionsimmanente Zwang zur Optimierung erschafft Produkte höchster Rationalität bei gleichzeitiger Reduktion auf das Notwendigste.
Le Corbusier führt stellvertretend für alle Ingenieure den Flugzeugbau als ein gelungenes Beispiel für die Optimierung einer Standartlösung zu einem gestellten Problem an.

Entscheidend für die Ausbildung einer solchen Standartlösung ist die richtige Fragestellung. Für die Architektur bedeutet das eine genaue Analyse der Bedürfnisse einer Gesellschaft und Definition der vorhandenen Probleme. Logik, Beobachtungen und Erfahrung erlauben dann eine Lösung, die sich im Bauwesen in einem Grundriss oder einer Gebäudetypologie manifestiert. Typologie und Grundriss sind Produkte der Funktion und bestimmen im weiteren das Gebäude von innen nach außen.
Le Corbusier idealisiert die Bedürfnisse der Gesellschaft als homogen und propagiert eine Gesellschaftsordnung, die mittels fest definierter Klassen und Funktionen Standartlösungen für standardisierte Bedürfnisse zulässt.

Als Königsdisziplin und den Prüfstein des Architekten gilt ihm die Formgebung, die in seinem Text meist mit Baukunst gleichgesetzt wird. Dabei setzt der schaffende Künstler die rohen Baumaterialien in eine Beziehungen zueinander, die den Betrachter innerlich anrühren. Die Form ist dann keine Funktions- oder Konstruktionsfrage mehr, sondern liegt allein in der Hand des Gestalters. Mit einfachen Maßregeln stellt der Architekt Zusammenhänge zwischen Körpern im Raum her und gelangt einzig durch eine Schöpfung des Geistes zu einer zutiefst anrührenden Schönheit, die im Einklang mit der Weltordnung steht. Diese Schönheit geht über die vom Ingenieur erreichbare Harmonie hinaus.

II

Neben der Klärung seiner Leitsätze stellt Le Corbusier in seiner Schrift die unterschiedlichen Beziehungen der Teildisziplinen untereinander dar und lässt anhand von teilweise widersprüchlichen Darlegungen die Komplexität der Thematik erkennen.

Ausgehend von der Funktion steht am Anfang die Forderung nach einer Definition der Bedürfnisse und Probleme einer Gesellschaft. Nach menschlichen Maßstäben durchgeführte Analysen setzen die erarbeitete Lösung dann in eine bauliche Typologie um. (Funktion)
Aus dieser Typologie entsteht durch eine streng rationale Überarbeitung eine optimierte Standartlösung. (Konstruktion)
Die geistige Schöpferkraft des Architekten beseelt das Bauwerk und gibt ihm eine Gestalt vollkommener Baukunst. (Form)

Schwierig zeigt sich die klare Abgrenzung der drei Teilgebiete der Architektur voneinander. Stellt man Funktion, Konstruktion und Form nebeneinander treten sie in Konkurrenz. Ihre jeweiligen Ansprüche an ein Bauwerk verfolgen eigene Ziele und führen, für sich allein betrachtet, bei konsequenter Durchbildung zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Erst die Einführung der Zeit als viertes Element gestattet eine Durchbildung aller Teildisziplinen. Betrachtet man Funktion, Konstruktion und Form nacheinander, lässt sich jeder Aspekt berücksichtigen. Die Aufstellung kausaler Zusammenhänge klärt die Beziehungen der drei untereinander und verdeutlicht, dass die Baukunst als anzustrebendes Ziel hinter allem steht und die beiden anderen Begriffe umfasst. Die Erkenntnis, dass Konstruktion und Funktion Bestandteil der Baukunst sind erklärt auch inhaltliche Überschneidungen in seinem Text.

Le Corbusier öffnet dem Leser die Augen für die Schönheit des Parthenon-Tempels, der, aus Standart-Tempelformen entstanden, seine Vollendung gefunden hat. Für seine Zeit verweist er auf die Entwicklung in der Automobilbranche, die schon eine Standartlösung gefunden hat und jetzt davor steht, eine Ideallösung zu suchen. In einem großen Dilemma sieht er den Häuserbau, der zwar Standartlösungen produziert, aber vorher nicht die Bedürfnisse hinterfragt und gegenüber vorindustriellen Zeiten aktualisiert hat.

Die vorhandenen Missstände in der damaligen Gesellschaft führt Le Corbusier auf die Orientierungslosigkeit einer vom Fortschritt überholten Gesellschaft zurück, eine Situation, die heute immer noch aktuell ist. Er definiert die Baukunst als gesellschaftsstiftend, ihre Aufgabe ist es eine Ordnung und einen Halt für die Gesellschaft zu schaffen. Der Architekt übernimmt hier die anleitende Rolle, die Bedürfnisse einer Gesellschaft zu bestimmen, die er selber erst kreiert.
Da aber Baukunst und Gesellschaft wechselseitige Auswirkungen aufeinander haben, bildet sich ein fortwährender Kreislauf. Dieser bedingt zwangsläufig eine Entwicklung, deren Ziel aber noch zu bestimmen ist.

Bildquelle : S.Gideon: "Raum, Zeit, Architektur", 1976
Text : Ansgar Schmitter
 
 
 
 
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